Zwei Jahre.
Ich glaube, dass fast jeder schon einmal so etwas in seinem nahen Umfeld erlebt hat. Es ist auch das normalste der Welt – Menschen sterben nun einmal. Das sagt sich leicht, weil es eigentlich zum Leben dazu gehört. Und eigentlich ist es nicht so ungewöhnlich, dass auch jüngere Menschen sterben. Eigentlich sollten wir doch damit umgehen können.
Ich hatte eine schöne Kindheit und Teenager-Zeit – keine großen Probleme und vor allem viel Spaß mit meinen Freunden. Wir waren immer zusammen. Wir gingen zusammen zur Schule, sind zusammen in den Urlaub gefahren und haben eigentlich die meiste Zeit damit verbracht miteinander zu lachen. Natürlich hatten wir alle unsere Teenager-Sorgen und unterschiedliche Interessen, aber wir haben immer wieder zueinander gefunden. Wir hatten uns immer und seit Ewigkeiten und wir dachten, dass wir uns für immer haben werden. Auch in der Studienzeit, die uns natürlich auch alle geografisch in andere Ecken geführt hat, haben wir immer wieder zusammen gefunden. Wir haben gerne darüber geredet, was wir „später“ machen werden – wie unsere Jobs und Familien sein werden. Bis zum Schluss haben wir immer mal wieder so geredet, als wäre alles in Ordnung.
Kennt ihr dieses Urvertrauen, dass man hat bevor einem etwas passiert, was einem schlagartig den Boden unter den Füßen weg zieht?
„Du brauchst nicht zu reden.“ „Doch – Es ist sicher, dass es Krebs ist. Sie können nicht mehr operieren, weil der Tumor zu weit vorgeschritten ist – Er hat gesagt, dass ich eine stark verkürzte Lebenszeit haben werde.“ In diesem Moment, als meine Hand fest gedrückt wurde, war mir klar, dass es jetzt soweit ist. Jetzt passiert uns etwas, was ich sonst nur aus Erzählungen oder Filmen kenne. Etwas schlimmes, dass alles verändern wird.
Von dem Moment an raste die Zeit an mir vorbei. Sie zog von Berlin nach Münster, damit sie in unserer und natürlich in der Nähe ihrer Familie sein konnte. Wir wohnten alle nicht weit entfernt und haben viel gemeinsame Zeit in ihrer Wohnung verbracht. Jeder hat sie in seiner Art unterstütz. Jeder Tat das, was er am besten konnte. Wir waren ein gutes Team und für Sie da. Ja, das ist ein Lichtblick, den ich in der Geschichte sehen kann. Und doch war es zwei Jahre lang ein auf und ab von Hoffnung und Enttäuschung. Mal schlug eine Therapie an und dann wieder nicht. Wir konnten einfach nichts tun außer reden, reden, reden – über oberflächliche Dinge, die einem in diesem Momenten noch sinnloser erschienen, aber den Situationen etwas Leichtigkeit gegeben haben. Leichtigkeit, die alle Beteiligten hin und wieder gebraucht haben.
Es waren zwei Jahre, die an mir vorbei gerast sind und mich innerlich umgekrempelt haben. Zwei Jahre in denen ich still stand. Zwei Jahre, in denen ich zu gesehen habe, wie sie immer weniger und weniger wurde – bis sie nicht mehr da war. Sie konnte sich nicht dagegen wehren und ich konnte ihr nicht helfen. Zwei Jahre, die mich entgegen meiner Erwartung nicht besser und stärker gemacht haben, nach dem Motto „Was dich nicht umbringt, macht dich stark.“ Mich hat es zwar nicht umgebracht, aber mich hat diese Hilflosigkeit nicht stärker gemacht, sondern etwas verbittert. Die Leute versuchen natürlich aus solchen Situationen irgendetwas positives zu ziehen, das hat unsere Gesellschaft so an sich, und ich würde meinen Beitrag auch gerne mit Hoffnung und einer positiven Einstellung beenden, doch ich kann es leider nicht. Jedenfalls noch nicht. Ich habe zwei Jahre lang immer wieder versucht positive Worte zu finden und in Hoffnung zu sprechen, wenn eine Therapie nicht angeschlagen hat. Ich war zwei Jahre lang „Spezialist“ über die „unzähligen“ Möglichkeiten, die noch für sie zu Verfügung standen, um ihr Mut zu machen. Zwei Jahre voller „Nicht aufgeben“- und „Alles wird gut“-Parolen im Mund und „Ich kann nicht mehr“-Gedanken im Kopf. Jetzt muss ich mir doch einfach eingestehen dürfen, dass es für mich nichts positives hat, dass sie nicht mehr in meinem Leben ist.
Wieso ist der Tod, der nun einmal zu Leben gehört, für uns immer noch so schmerzhaft und unbegreiflich? Wieso fällt es uns so schwer loszulassen? Wieso kann es für uns nicht natürlicher sein, dass wir uns von Menschen verabschieden müssen? Ist es, weil die meisten von uns keinen Halt mehr in der Religion finden und nicht daran glauben, dass wir uns wieder sehen oder ist es auch die Angst vorm eigenen Tod, die dabei eine Rolle spielt? Wenn so etwas so nah an einem vorbei rast, erschüttert einen das Thema noch härter.
Sie hat mal gesagt „Warum soll mein Leben denn mehr Wert sein, als das eines der Flüchtlinge, die im Meer ertrinken.“. Ich weiß es auch nicht. Aber für mich war es zu viel Wert, als dass sie mir nicht jeden Tag fehlen würde…
Habt ihr auch schon einmal etwas ähnlicher erlebt und wie seid ihr damit umgegangen? Ich würde mich über Eure Geschichten und Kommentare zu meinem Beitrag sehr freuen.
LG, Kerze
Liebe Kerze,
Vielen Dank für diesen schönen und auch traurigen Beitrag. Mir tut es sehr leid was passiert ist und die Geschichte hat mich wirklich berührt. Besonders auch weil du und euer Freundeskreis sich dem Thema gestellt haben und sie ünterstützt haben.
Du hast in deinem Artikels auch echt die richtigen Worte gefunden, was mir doch schwerer fällt.
Mir ist vor einiger Zeit auch etwas passiert was mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat und es gibt auch fast 4 Jahre später, immer noch Zeiten in denen mir alles sehr schwer fällt. Ich habe dabei auch die Erfahrungen gemacht, die du beschreibst. Trauer hatte ich vielleicht noch erwartet, aber nicht das sie so verschieden aussehen kann. Mich hat sie einfach müde, verbittert und sehr wütend gemacht. Und dann wieder einfach nur tief traurig. Der Tod und vor allem die längere Periode von Trauer ist meiner eigenen Erfahrung nach nicht wirklich gut besprechbar. Das Thema ist in unserer Gesellschaft nicht präsent und gehört irgendwie doch gar nicht zu unserem Alltag dazu. Deshalb hat mich der Verlusst von geliebten Menschen auch selber so überrascht und ich wusste und weiß manchmal noch stets nicht wie ich damit umgehen soll.
Was aber stimmt ist der blöde und und oft gesagte Satz, dass die Zeit hilft. Zum Glück tut sie das und der Rückblick auf gemeinsame Ereignisse ändert sich wieder zum mehr Positiven, dass man sich wieder darüber freuen kann was man alles gemeinsam erlebt hat.
Die Liebe für den Mensch den man verloren hat bleibt da und kann sich irgendwann vom Gefühl des Schmerzes ablösen meiner Erfahrung nach.
Vielen Dank, dass du dieses Thema in den ‚Alltag‘ reingebracht hast. Mir hat es auf jeden Fall gut getan.
Ich wünsche dir und eurem ganzen Freundeskreis wirklich alles Gute.
Liebe Grüße Kat
Liebe Kat,
vielen, vielen Dank für dein Kommentar. Es fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen, wenn ich so etwas lese. Ja, das stimmt, dass die längere Periode des Trauerns eine Art Tabu-Thema in unserer leistungsorientierten Gesellschaft ist. Irgendwann ist für außenstehende der Punkt gekommen, dass es weiter gehen muss und dass „Schluß“ mit dem Trauern ist. Ich glaube auch, dass man sich selber nicht so unter druck setzen sollte und dass es einfach natürlicher sein muss, immer mal wieder darüber zu reden zu können ohne irgendwelche Floskeln verwenden zu müssen, die das ganze Thema positiv abschließen. Du hast aber natürlich Recht, dass die Zeit hilft und es immer besser macht, aber eben noch nicht direkt nach der Beerdigung oder ein Jahr danach, wie es meinem Gefühl nach von einem erwartet wird. Vielen Dank für diesen so toll geschriebenen Kommentar. Du hast auf jeden Fall die richtigen Worte für das ganze Thema gefunden. Ich wünsche Dir auch alles Gute und dass es dir weiterhin stetig besser geht.
Liebe Grüße, Kerze
Hallo Kerze,
du hast mich eingeladen deinen Blog zu besuchen und ich bin gleich auf diesen wunderschönen Beitrag von dir gestoßen. Nochmal – in all dieser Traurigkeit in der du schreibst, finde ich deinen Beitrag wunderschön! Außerdem finde ich es sehr mutig deine intimen Erfahrungen mit dem wohl sensibelsten Thema der Welt so ehrlich und direkt mit der Welt zu teilen. Ich kann deine Gefühle und Gedanken sehr gut nachempfinden, weil ich, wie du weißt, vergleichbare Erfahrungen im Leben gemacht habe.
Um dir vielleicht etwas Verbitterung und Trauer zu nehmen liegt es mir auf dem Herzen deinen Satz bzw. Nachschub aufzugreifen, dass du dem ganzen noch nichts positives und hoffnungsvolles abgewinnen kannst. Dabei möchte ich versuchen dir die Geschichte einmal aus einem anderen Blickwinkel zu zeigen, welcher sich mir auch erst Jahre nach meiner schrecklichen Erfahrung offenbarte – erst nachdem ich mich aus meiner „Schockstarre“ befreien konnte.
Du schreibst von Freundschaft und von ganz viel freundschaftlicher Liebe, die ihr gemeinsam erfahren durftet. Freundschaft die durch Höhen, Tiefen, durch Nähe und Ferne bestand hielt. Die Krankheit deiner Freundin mit all dem Schmerz und dem Kampf zwischen Hoffnung und Enttäuschung, genauer zwischen Leben und Tod, ist eine Geschichte, wie sie unserer Welt schreibt, ob wir es ertragen wollen oder nicht. Erlebt man so etwas hautnah kann man sich entscheiden ob man hinschauen oder wegsehen will. Will man die Wahrheit in all seiner Klarheit und Stärke sehen oder ist die Angst größer und man versteckt sich, bis sie einen doch irgendwann einholt. Deinen Worten kann man entnehmen, dass du ganz genau hingesehen hast und du einen inneren Antrieb hast dich mich einem tieferen Sinn dieser Geschichte auseinander zu setzen.
Meine persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass es nicht auf die Länge, sonder die Qualität eines Menschenlebens ankommt und dass diese Qualität vor allem in Momenten der Trauer und des Leidens sichtbar wird. Was sichtbar wird wenn man deinen Artikel ließt ist eine ganz besondere Erfahrung von Freundschaft und Zusammenhalt. Zu eurer gemeinsamen Geschichte gehört der Leidensweg eurer Freundin, welcher die Qualität eurer Freundschaft erst so richtig sichtbar macht. Somit öffnen uns diese traurigen Geschichten und Schicksalsschläge doch die Augen für das Gute und die Liebe zueinander. Auch wenn deine Freundin nun körperlich nicht mehr anwesend sein kann, kann sie es doch in jedem Moment. Das zu beschreiben ist in Worten fast unmöglich. Was ich meine ist, dass man die Person, die man vermisst, in jedem Moment spüren kann, wenn man es will. All diese Gefühle und Gedanken sind doch nur möglich, weil es Krankheit und Tod gibt. Und aus dieser Perspektive ist es doch alles einfach nur wunderschön und macht plötzlich wieder einen Sinn. Gefühle sind meiner Meinung nach nicht in positiv und negativ einzuteilen. Gefühle geben uns etwas was das Leben lebenswert macht. Das Leben, die Liebe, der Tod und der Schmerz sind voneinander abhängig, denn ohne das eine, würde das andere nicht existieren können. Das ist meine kitschige Erkenntnis, die dir hoffentlich jetzt oder irgendwann einmal weiterhelfen kann.
Herzliche Grüße, Jana
Hallo Jana,
wow, vielen Dank für deinen Kommentar. Wunderschön geschrieben! Klar, du hast Recht. Ich schreibe den Artikel ja nur aus meiner Sicht, wie die Situation jetzt gerade zu diesem Zeitpunkt ist. Deshalb hab ich ja geschrieben, dass ich den Artikel „noch“ nicht positiv abschließen kann. Ich hatte das Bedürfnis über die Geschichte ohne Floskeln und hoffnungsvollen zu schreiben, sondern sie einfach wie es gerade ist darzustellen und einfach mal so stehen zu lassen. Das heißt alles nicht, dass es für mich undenkbar ist, dass es mir bald damit besser gehen könnte und dass ich bald vieles aus einem anderen Blickwinkel sehen werde. Der Artikel ist nur eine Momentaufnahme ein Jahr danach. Ich hoffe auch, dass ich das bald so sehen werde wie Du, denn Du hast es toll beschrieben und die Sicht von einer anderen Person auf das Thema zu hören, tut auf jeden Fall sehr gut. Danke nochmal! 🙂
Liebe Grüße, Kerze