Sensibelchen
„Du bist so ruhig, alles in Ordnung?“
– „Alles okay… aber mein Akku ist leer und meine Festplatte voll.“
Meist spare ich mir weitere Erklärungen. Ich muss jetzt mal alleine sein.
Mit sich allein zu sein ist ja für viele in meinem Bekanntenkreis die pure Langeweile. Umso schwieriger ist es, ihnen zu erklären wie gut es Jemanden wie mir tut, mich zurückzuziehen. Es wirkt auf Andere scheinbar immer ein wenig bemitleidenswert. Wieso eigentlich???
Ich bin nicht einsam, nur weil ich oft einfach für mich sein will.
Ich bin nicht depressiv, wenn ich gerne mit einem Tee am Fenster sitze und den Regen genieße. Ich habe keine Sozialphobie, wenn ich Menschenansammlungen eher meide. Ich bin bloß sensibel verdammt…
Verückterweise ist es gar nicht so leicht ganz entspannt dazu zu stehen, denn ein “Sensibelchen” zu sein ist leider immer ein wenig negativ behaftet.
Man soll sich durchbeißen! Sich nicht so anstellen! Sich zusammenreißen!
Wenn das nicht klappt kommt der Druck. Und nach dem Druck kommt die Erschöpfung und darauffolgend die psychische Störung – bishin zur körperlichen Krankheit aufgrund permanenten Stress. Symptome werden mit Mittelchen bekämpft, damit wir wieder ein paar Meter unsere Lasten tragen können. Oder es wird eine neue schicke psychische Störung entworfen die uns suggeriert, wir seien Fehlerhaft, wenn wir die geforderte Leisungen nicht erbringen können.
Versteht mich nicht falsch- natürlich befürworte ich es, wenn jemand sich Hilfe holt, sollte die eigene Psyche einmal komplett aus dem Ruder geraten sein. Aber ich glaube auch, dass sich hinter vielen dieser Diagnosen bloße Überforderungen im Alltag verbergen.
Und ebenso glaube ich, dass ich damit garnicht so allein bin.
Nun sollte man allerdings ein wenig unterscheiden, ob man “nur” ein empfindsamer Mensch – oder gar Hochsensibel ist.
Vor ein paar Jahren hat mich ein Facebookfreund (liebe Grüße an dieser Stelle) angeschrieben. Er betrachtete die Inhalte meiner sozialen Kanäle scheinbar von einem völlig anderen Blickwinkel und gab mir den Rat einmal das Buch „Zart Besaitet“ zu lesen. Es sei quasi eine Wohltat für Menschen, die ihre Empfindungen evtl. noch nicht richtig einordnen können.
Ich habe mich in vielen Bereichen dieses Buches tatsächlich widergefunden und es hat mir dabei geholfen mich selbst zu verstehen und dem Kind einen Namen zu geben.
Was ist Hochsensiblität?
Ich dachte ich überlasse das Wort an dieser Stelle den Fachleuten von www.hochsensibilitaet.ch
‚Hochsensibilität‘ – was verstehen wir darunter?
Etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen gelten als hochsensibel.Ihre Wahrnehmungsfähigkeit ist – wahrscheinlich auf Grund einer speziellen Veranlagung – überdurchschnittlich differenziert. Andererseits ist ihr Gehirn häufig nicht in der Lage, die dadurch entstehende Reizüberflutung adäquat zu verarbeiten. Bildhaft ausgedrückt fehlen dem hochsensiblen Menschen „Filter“ und eine stabile „Haut“, die vor zu vielen Einflüssen schützen. Solch „dünnhäutige“ Menschen können über ein reiches inneres Potenzial verfügen, beispielsweise über Eigenschaften wie Differenziertheit, Einfühlungsvermögen, Intuition, Reflexionsfähigkeit, Feinfühligkeit, Kreativität… Manchmal ist es ihnen jedoch nicht möglich, dieses Potenzial vollumfänglich in ihr Leben zu integrieren, weil sie zum Beispiel häufig damit beschäftigt sind, sich vor Reizen zu schützen oder sich an die ’normalsensible‘ Mehrheit anzupassen.
Vielleicht kennen einige von euch das Gefühl, die unzähligen Eindrücke die tagtäglich auf einen einprasseln gar nicht mehr aufnehmen zu können. Wenn ihr nach einem langen und lauten Tag, bloß noch in einem stillen Raum sitzen möchtet, um die Dinge zu verarbeiten. Oder wenn man die Stimmungen anderer Menschen so sehr spürt, dass es einem schon unangenehm ist- und man aufpassen muss, sich diesen nicht anzugleichen. Oder dass Gerüche schnell als störend penetrant wahrgenommen werden und Großstadtlärm nur sehr schwer bis garnicht auszublenden ist. Wer sich hier angesprochen fühlt, der sollte sich dem Thema Hochsensiblität vielleicht einmal intesiver widmen.
Hier findet ihr noch mehr Informationen und sogar einen kleinen Test:
www.hochsensibel-test.de
Aber auch den “Normalsensiblen” unter euch sei gesagt:
Es ist wunderbar feinfühlig zu sein! Lasst euch das nicht nehmen oder gar schlecht reden!
In einer Welt in der nur Leistung zählt, in der Härte gefeiert wird und wir tatsächlich mit etwas wie Doping und Robotern (ROBOTERN! wtf) konkurieren müssen, fehlt es zunehmend an Emphatie und Menschlichkeit.
Jeder ist dann und wann dankbar für ein wenig Mitgefühl. Und wenn wir sie bekommen, empfinden wir sie dann nicht eher als Halt gebend und kraftvoll?
Und das schöne am senbsibel sein ist ja, dass man nicht nur die anstrengenden Eindrücke deutlicher spürt, sondern eben auch die schönen. So werden die Düfte im Frühling ein Erlebnis. Das rauschen der Bäume zur Therapie. Wir werden kreativ, Gespräche mit Menschen herrlich tiefgründig und Genüsse viel intensiver.
Ich habe es akzeptiert, ein sensibler Mensch zu sein. Es ist ein Teil meines Charakters.
Das bin ich. Es ist nicht immer leicht, aber es liegt in meiner eigenen Verantwortung zu dem zu stehen und auf mich aufzupassen. Nun plane ich stets ein wenig voraus und gebe mir Freiräume so gut ich kann, sodass ich nicht ständig am Limit lebe. Dass es schwer ist liegt nicht an mir, sondern an den Idealen und Anforderungen der heutigen Zeit. Wir „funktionieren“ ausnahmslos ALLE.
Jedoch alle mit unterschiedlichem Flow. Und wir selbst sind dafür zuständig, dies zu erkennen und zu akzeptieren indem wir dafür sorgen, dass wir glücklich sein können. Meiner Meinung nach täte dies jedem Einzelnen gut. Meiner Meinung nach sind wir alle überreizt und im Rausche des Fortschritts und der Optimierung ein wenig verloren gegangen. Was bleibt uns denn, wenn wir nur noch funktionieren und nichts mehr fühlen?
Eure Laura.
Liebe Laura!
Ein kraftvoller und mutiger Beitrag – danke dir dafür!
Ich kenne das Gefühl, dass einem alles über den Kopf wächst und alles zu laut und zu schnell ist (auch der ganze digitale Lärm) ebenfalls. Viel Zeit für mich alleine, um genau das zu verarbeiten, ist für mich dringend notwendig, sonst stauen sich diese Dinge an und verursachen fürchterlichen Stress.
Mein Ventil dafür sind alle möglichen kreativen Aufarbeitungsprozesse – vor allem das Schreiben. So kann ich die Dinge ordnen, wenn sie auf dem Papier stehen (analoges ist da sogar noch besser als digitales) und wieder mit einigermaßen freiem Kopf den Alltag angehen.
Von Hochsensibilität hatte ich schon viel gelesen, mich aber noch nicht näher damit beschäftigt. Das ist auch erst in der letzten Zeit so richtig zum Thema geworden, oder? Ob ich selbst in diese Kategorie einzuordnen bin, weiß ich (noch) nicht, werde mir aber auf jeden Fall einmal den von dir verlinkten Test anschauen und mich informieren. 🙂
Liebe Grüße
Jenni
Hallo Jenni!
Ja das stimmt, das Thema Hochsensiblität findet noch garnicht so lange Gehör. Ich bin froh, dass immer mehr Menschen anfangen sich selbst einmal zu erfühlen und diese Eigenschaft zu hinterfragen, anstatt sich direkt eine psychische Störung einzureden.
Das mit den kreativen Prozessen kenne ich sehr sehr gut ^^
Ich führe auch so etwas wie ein Tagebuch, das mir hilft vor dem schlafen, noch einmal ein paar Dinge zu ordnen und zu verarbeiten. Solltest du deine Texte irgendwo im Netz veröffentlich haben, kannst du uns ja gerne mal einen Link zukommen lassen. 🙂
Alles Liebe dir!
Laura
Hi Laura!
Mir geht es ähnlich. Und es tut echt gut dafür eine Erklärung zu haben. Bei mir sind es vor allem die emotinalen Dinge, die mich aufwühlen und wahrscheinlich länger beschäftigen als so manch einem anderen. Ich nehme Gefühle auch stärker wahr. Die meiner Mitmenschen, aber auch meine eigenen sind manchmal so intensiv, dass ich denke ich könnte platzen. Mir hilft da auch oft das Schreiben. Häufig auch in kreativer Form.
Es ist gut, sich selber zu kennen und zu aktzeptieren…aber schwer ist es oft noch das Verständnis von „Normalsensiblen“ zu bekommen (mein Freund verzweifelt da auch manchmal dran…tja ich bin halt intensiv :D)
Alles Liebe ❤ Jule
Haha, ja ich glaube mein Freund kann da ebenfalls ein Liedchen singen 😉
*Drücker* <3 Laura
Danke Jule und Laura,
für eure Worte. Gerade das Gefühl zu platzen ist das, was auch ich empfinde. Manche Gefühle trage ich manchmal über Monate mit mir. Da sind einige Dinge mehr, wenn ich unter diesem Blickwinkel auf mich schaue.
Nochmals danke!
Liebe Grüße
Anna